Tag 1: Anreise nach Görlitz und warum das alles

Eine Radtour durch Polen: Anlass ist eine Geburtstagsparty im ostpolnischen Bialystok und eine Hochzeit. Anfahrt von Stuttgart: zwei Tage mit dem Auto. – Nö. Schließlich ist Sommer und meine letzte ernstzunehmende Radtour 18 Jahre her. Höchste Zeit, sich mal wieder auf die Piste zu begeben. Und es schwingt auch etwas Nostalgie nach alten Osteuropa-Radtouren mit, durch Tschechien, Slowakei, Ungarn und ein bisschen Rumänien in der Zeit des Eisernen Vorhangs. Die Gastfreundschaft, schöne Städtchen und herrliche Landschaften locken.

Radzubehör musste eingekauft werden: Radtaschen, etwas Werkzeug, Schläuche für alle Fälle. Kollege Jens hilft mit Tipps, auch mit einem System von konisch spitz zulaufenden Ton-Wasserspeichern für die Topfpflanzen zu Hause. Für die Navigation erweist sich die Empfehlung von Kollegin Juliane als sehr praktisch: Mit der Komoot-App lässt sich die Strecke navigieren. Flugs noch ein Handy gekauft, das alte war nix mehr. Für einen Test reicht die Zeit nicht mehr, ich muss auf der Tour direkt testen. Ein bisschen Risiko gehört zur Radtour auch dazu.

Eisenbahnbrücke über die Neiße in Görlitz mit Blick auf die polnische Seite.

Da ich diesen Termin mit der Hochzeit und der Geburtstagsparty habe, muss ich die erste Strecke nach Görlitz mit dem Nahverkehr bestreiten. Viele Radfahrer sind unterwegs, sodass die Radabteile immer sehr gut gefüllt sind. Warum hat die Bahn im Sommer nicht mehr Kapazitäten für die Radtourer? – Mit etwas Bastelei und hin- und herschieben beim Ein- und Aussteigen von den zusteigenden Reisenden, ich versperre regelmäßig Türen, geht es schließlich. Als Reiselektüre habe ich „Kulturschock Polen“ von Isabella Gawin und Dieter Schulze dabei. Ich vertiefe mich in die geschichtspolitisch bedeutsamen Wendepunkte für den polnischen Nationalstaat, besonders in die Schlacht bei Grunwald, die Rolle des Deutschen Ordens, Preußens und die dazugehörigen Befreiungsnarrative. Nach achteinhalb Stunden komme ich in Görlitz an, wo ich in ein paar Radminuten Entfernung vom Bahnhof in der Villa Ephraim unterkomme. Das ist eine ehemalige Jugendherberge, in der gerade eine Hochzeitsparty im Gange ist, aber genau richtig für meine Zwecke. Mit 44 Euro (davon sechs Euro Frühstück) komme ich bestens unter.

Die Görlitzer Obermühle, ein hervorragendes Restaurant an der Neiße.

Beim Gang zum Abendessen in der Obermühle bekomme ich einen schönen Blick auf die Eisenbahnbrücke über die Neiße. Polizei und Feuerwehr sind auch unterwegs, da jemand auf der Brücke steht, um sich womöglich in die Tiefe zu stürzen. Pufferküsser sind mit Fotoapparaten und Videokameras unterwegs, um eine Dampflockfahrt von polnischer Seite nach Görlitz zu filmen. Aber das dauert noch. Unterdessen kehre ich in der Obermühle bei einem erstaunlich gutem Bioschnitzel und in der Mühle gebrautem Bier ein. Morgen geht’s dann erst wirklich los.

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