Mit dem Regionalexpress nach Ventimiglia

Dienstag, 29. August. In der Nacht hat es in Verona wieder heftig geregnet. Süddeutschland bereitet sich auf Hochwasser vor. Ich brach einen Zug früher nach Mailand auf, um mehr Zeit für den Umstieg nach Verona zu haben. Es klappte alles reibungslos, wobei die alten Regionalexpresszüge noch nicht wirklich für die Fahrradmitnahme gedacht waren: Treppenstufen in die Wagen, keine Stellplätze oder Radabteile, aber im Übergang zwischen den Wagons gibt es eine Möglichkeit. Am Geländer befestige ich das Rad durch eine Verbindung mit dem Klettklebeband zwischen Gepäckträger und einem Geländer. – Statt Klimaanlage waren die Fenster im Zug angekippt. In den vielen Tunnels durch den Apenin nach Genua und auch an der Küste ein sehr lautes Kühlsystem.

Pünktlich kurz vor 20 Uhr kam ich in Ventimiglia an und fuhr erst einmal an den Strand. Nach dem lärmenden Zug und den vielen Tunnels ein wohltuender Kontrast: Mondaufgang am Meer.

Das Wetter ist besser als gedacht, kein starker Wind wie angesagt. Bei dem ruhigen Sommerwetter werde ich morgen an der Küste über Monaco, Nizza und Cannes nach St. Raphaël fahren. Nach den ungewollten Ruhetagen endlich wieder Bewegung.

Ich habe meine Badehose vergessen.

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Von Verona nach Verona: am Brenner geht nichts mehr

Montag, 28. August. Ich bin heute am Brenner gescheitert. Es hat wohl mehrere Murenabgänge gegeben. In Österreich bereitet man sich nun auf Überflutungen vor. Doch der Reihe nach…

Ich habe am Samstag ja wie geplant meinen Ruhetag in Turin eingelegt. Als das Wetter sich verschlechterte und klar war, dass an eine Überquerung des Col du Mont Cenis nicht zu denken ist, entschied ich nach Hause zu fahren. Radstellplätze im Fernverkehr gab es jedoch nicht mehr. Blieb also der Regionalverkehr. In den Zügen kann man in Italien für 3,50 Euro pro Tag das Rad mitnehmen. Ich quartierte mich gestern in Verona ein und streifte am Abend durch die Stadt, um die Beine auszuschütteln und die Atmosphäre auf mich wirken zu lassen. Der Regen hatte aufgehört.

Mein Plan war, heute bis nach Stuttgart zu kommen, was theoretisch mit dem Nahverkehr hätte klappen können. In der Nacht hatte es ein heftiges Gewitter gegeben. Ich lag zwei Stunden wach und zählte die Sekunden zwischen Blitz und Donner. Mal war kein Unterschied und es krachte so laut, dass ich mich fragte, ob der Blitz in den Kanal eingeschlagen hat, den ich vom Fenster aus sehen konnte.

Um 8:50 Uhr fuhr mein Zug zum Brenner. In Südtirol hingen die Wollken tief, es regnete immer wieder stark. Die österreichische Bahn informierte per E-Mail über eine Streckenunterbrechung und Schienenersatzvekehr zwischen Brenner und Innsbruck. – Mit dem Rad in den Bus? Daran, dass das funktionieren würde, hatte ich Zweifel. Ich zog mich im Warteraum am Bahnhof um, Radschuhe mit Regenüberzieher, kurze Radhose und ein langes Trikot unter die Regenjacke und wollte den Pass runterfahren. Nach Innsbruck sind es nur 38 Kilometer. Vor dem Bahnhof hatten sich viele Reisende versammelt, die auf die Busse warteten. Zwei italienische Polizisten wurden immer angesprochen, wann der nächste Bus kommt, wie es mit den Rädern weitergeht etc. Das Getümmel wurde größer, die Züge spuckten immer mehr Reisende aus. Während nach und nach Busse kamen und auch Taxis, versuchten die Polizisten etwas Ordnung ins Gedränge zu bringen, die Busse auf Stellpätze zu leiten und Reisende über die Straße zum Café gegenüber.

Mich sprach ein belgischer Radfahrer an, Michel, ob ich mir mit ihm ein Taxi teilen würde. Nicht nur die Bahnstecke, auch die Straßen seien gesperrt, es ginge nichts mehr, nur noch die Autobahn. Er habe eine Nummer von einem österreichischen Taxiunternehmen. Ich solle anrufen, da ich ja Deutsch spreche. Gesagt, getan. Eine Frau meldete sich am anderen Ende und meinte, es könne eine Weile dauern, da es auf der Autobahn Stau gebe. Die Bundesstraße sei gesperrt. Ok. Wir warteten. Der Regen nahm zu, es schüttete. Wir fanden unter dem Bahnhofsvordach Platz. Michel erzählte von seiner Tour nach Montenegro, von 46, 48 Grad Hitze. Er war wieder auf dem Heimweg ins Elsass, wo er wohnt. – Nach einer Stunde noch kein Taxi. Ich rief wieder an. Die gleiche Frau wieder am Telefon. Sie meinte, sie habe gerade mit dem Fahrer telefoniert, man wisse noch nicht, wie lange es dauere. Wir sollten nicht warten und die nächste Gelegenheit ergreifen fortzukommen.

Andere Taxis kamen und nahmen Leute mit, auch mit Rädern. Wir hatten noch einen dritten Radfahrer im Bunde, der sich uns angeschlossen hatte. Die Fahrt nach Innsbruck sollte 150 Euro kosten, wir würden also durch drei teilen. Unser Taxi war immer noch nicht in Sicht. Wir versuchten es bei anderen, die einen Van oder Kleinbus fuhren. Ohne Erfolg. Michel besorgte einen Kaffee. Wir fachsimpelten über die Räder. Er habe sich bei einem Händler in Straßburg eine Maßanfertigung machen lassen. Material: acier, ihm fiel das englische Wort für Stahl nicht ein, mir auch nicht. Lustig. Wir wechselten ins Französische.

Dann, ein neues Taxi. Zwei Räder waren schon drin. Der Taxifahrer wirkte etwas unbeholfen. Wir überzeugten ihn, dass noch ein drittes Rad reinpasst – das von Michel. Das klappte. Wir verabredeten uns zu informieren, wie der Tag für uns ausgehen würde. Er hatte schon meine Visitenkarte. Das Taxi fuhr mit Michel und zwei weiteren Radlern davon. Ich hielt nun nach den nächsten Möglichkeiten Ausschau.

Eine ältere Radtourerin aus Regensburg kannte den Brenner und die Schleichwege. Sie hatte erkundet, was noch möglich ist, war aber pessimistisch. Es sei in Österreich mit weiteren Sperrungen wegen Überschwemmungen zu rechnen. Und es habe weitere Muren gegeben. Ein Busfahrer ließ sich von einem Polizisten überreden, einen Schwung Radfahrer mitzunehmen. Der Polizist meinte, er habe schon heute morgen um 9 Uhr bei der österreichischen Bahn angerufen und um eine Lösung für die Räder gebeten. Nichts sei passiert. – Beim Schienenersatzverkehr handelte es sich um Reisebusse, also keine Nahverkehrsbusse, in die man einigermaßen ebenerdig die Räder hätte hineinschieben können. Man stapelte die Räder so gut es ging hochkant, kreuz und quer zwischen die Sitze. Viele passten nicht hinein. Aber immerhin. – Ungewiss, ob sich ein weiterer Busfahrer auf solch ein Unternehmen einlassen würde. Und kein weiterer Bus in Sicht.

Nach drei Stunden des Wartens und Diskutierens und des Umherlaufens im Regen beschloss ich, nach Verona zurück zu fahren. Ich ging erst einmal ins Café gegenüber, trank einen Kaffee, aß einen Kuchen, wärmte mich auf. Und vor allem: Ich ließ mein Mobilfunkgerät aufladen. Es hatte nur noch drei Prozent Akku-Kapazität und ich fand mein Ladekabel für die Powerbank nicht. Möglich, dass ich es in Stuttgart liegen gelassen habe. USB A auf C. Ich muss morgen meine Radtaschen mal komplett ausleeren. Während der Reise ist die Packordnung etwas durcheinander geraten.

Meine Idee für die nächsten Tage: Ich schlage mich nach Frankreich durch, raus aus dem Tief, und fahre das Rhône-Tal hoch. Die französische Bahn fährt von Ventimiglia über Nizza nach Marseille. Die Fahrradmitnahme in den Regionalexpresszügen (TER) ist kostenlos. Es gibt ein paar Ausnahmen für die Mitnahme, zum Beispiel in Grand-Est zu bestimmten Uhrzeiten. Aber an der Côte-d’Azur müsste ich eigentlich vorwärts kommen und umfahre die Unwetter-Regionen in den Alpen großräumig.

Inzwischen bin ich im gleichen Hotel in Verona angekommen wie gestern. Michel hat geschrieben, dass er in Innsbruck angekommen ist. Das Taxi sei bis Matrei gefahren. Von dort sei er mit dem Bus weitergekommen. Die Routenplanung habe er für die nächsten Tage geändert wegen der absehbaren Überschwemmungen.

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