Tag 9: Tykocin-Augustów

Die Große Synagoge in Tykocin

Die Große Synagoge von Tykocin wird unter Polizeischutz renoviert. Als ich vorbeifahre kommen mir Jugendliche entgegen, die in großen Bussen angereist waren. Das Städtchen hatte zeitweise eine überwiegend jüdische Bevölkerung. Nach dem Einmarsch der Deutschen 1941 wurden 1.400 Juden ermordet, weiß Wikipedia. In Augustów, dem Tagesziel, hatten die Sowjets 1945 einige hundert vermeindliche oder tatsächliche Antikommunisten umgebracht, was als die Razzia von Augustów in die Geschichte eingegangen ist.

Vor Elchen wird gewarnt.

Bei sonnigem Wetter erreichte ich den Nationalpark Biebrza. Beeindruckend viele Schilder waren im Park vor Elchen. Zum Glück wollte mich keiner knutschen, aber wie verhält man sich, wenn tatsächlich einer aus dem Wald kommt? – Wahrscheinlich einfach abwarten. Das Schild mit dem Wolf und dem Bär war nur am Anfang mal zu sehen. Im Grunde genommen ist der Park aber durch seine Vielfalt an Vogelarten bekannt. Hinweisschilder mit Fernglas-Symbol weisen den Ornithologen den Weg zu den vielversprechenden Aussichtspunkten. Der Weg durch den Park war streckenweise einsam, kein Verkehr, keine anderen Touris unterwegs. Tiefer Wald links und rechts des schnellen Asphaltweges, dann ab und zu Moorflächen mit Stegen zur Beobachtung der Federtiere.

An der Netta bei Augustów: Der Regen hat die Landschaft eingetrübt.

Dank des gut ausgebauten Green Velo komme ich mit einer für meine Verhältnisse hohen Durchschnittsgeschwindigkeit von 19,5 Kilometer pro Stunde in Goniadz an. Da ich hoffte, noch an einem Restaurant vorbeizukommen, um eine Mittagspause zu machen, ließ ich den Ort schnell hinter mir. Danach kam – nichts. Bei einem „Lewiathan“ mit Bank machte ich dann nach 74 Kilometern erst Pause. Das hätte sich Thomas Hobbes auch nicht träumen lassen, dass mal eine polnische Lebensmittelladenkette den Namen seines Werkes „Der Leviathan“ trägt. Da gibt es jedenfalls alles notwendige.

Langärmlige Mittagspause am „Lewiathan“: 23 Grad kommen mir nach der Hitzewelle recht kühl vor.
Wehr bei Augustów: Der nach dem Ort benannte Kanal sollte eine Alternative zu den preußischen Zöllen eröffnen.

Der Weg nach Augustów führt durch den sogenannten Nadelwald von Augustów, also wieder viel Grün und Einsamkeit auf der Strecke. Ich bin heute jedoch einigen Radwanderern begegnet: einem Pärchen, wenig bepackt, dann einen gut ausgerüsteten Trekki, der Zelt und Isomatte dabei hatte und auch vorne beladen war, und schließlich noch einen weiteren Fernradler, ebenfalls mit guter Ausrüstung. Auf meinen bisherigen Wegen bin ich praktisch keinen Fernradtourern begegnet. Die Region wird offensichtlich wegen der Naturparks aufgesucht, aber von einem Massentourismus kann man hier nicht sprechen. – Ich genieße die Einsamkeit und den geringen Autoverkehr.

Vor Augustów kürzte ich den Green Velo ab und nahm die Bundesstraße, auf der Kaunas und Vilnius schon ausgeschildert sind. Es hatte vor mir geregnet und es war merklich kühler geworden. Die Straßen waren noch nass. Ich sparte mir deshalb den Weg um die Seen und fuhr direkt ins Zentrum des Städchens, wo mich das Hotel Perla aufnahm. Und Toni Peperoni (das Lokal heißt wirklich so) hatte noch Spaghetti für mich.

Die 113 Kilometer heute waren dank der geschmeidigen Wege eine leichte Tour. Manchmal schaue ich schon noch hinter mich, wenn ich Dörfer verlasse, ob noch irgendwelche Köter hinter mir her sind. Nicht nur Hunde laufen teilweise frei herum, was ja auf dem Lande keine Überraschung ist, aber da gibt es auch mal eine Kuh, die in einem Seitenweg ihr Futter findet, fernab von jeder Weide oder Stall. Die Gegend ist, trotz des Nationalparks, dem Geruch nach von intensiver Viehhaltung geprägt. Und auf die Felder wird gerade frischer Dung ausgebracht. – Kurzum: alles sehr idyllisch.

Hotel Perla

 

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