Von Remouchamps nach Sankt Vith

Mittwoch, 16. August. Frühstück gab es heute erst wieder ab 8 Uhr. Wir waren die ersten im altehrwürdigen Speisesaal des Hotels. Dunkle Holzmöbel und nur eine Fensterfront für den großen Saal machten eine Tisch- und Deckenbeleuchtung notwendig. Die Tischlampe wurde am Fuß durch eine silbernfarbene Wildschwein-Metallplastik verziert. Im Foyer hängt ein Hundeportrait – Öl auf Leinwand. Die Ecke ist leider zu dunkel zum Fotografieren. Ariane hätte sich sicher gefreut.

In der Nacht hatte es geregnet, die Straßen waren noch nass. Mein Wahoo-Navi hatte die Routenplanung vom Abend vergessen. Und nicht nur das: „Keine Strecken verfügbar“. Wtf? Da wir sowieso geplant hatten, die Nationalstraßen zu fahren, fiel uns die Orientierung leicht. Wir fuhren also „auf Sicht“, den Wegweisern folgend und mit Burkhards Straßenkarte unter der durchsichtigen Regensschutzfolie auf der Lenkertasche. Wir ließen Spa links liegen – Thermalbäder würden sich erst am Ende der Tour richtig anfühlen – und fuhren über Trois-Ponts („Dreibrücken“) nach Malmedy zur Mittagspause. Bei Trois-Ponts gab es einen Parkplatz, viele Familien stiegen aus, die Kinder in Badesachen. Aus dem Tal führte eine Seilbahn über unsere Köpfe hinweg nach irgendwo. In der Nähe von Trois-Ponts liegt Coo, bekannt durch Wasserfälle. Straßenschilder weisen darauf hin, dass wir in den „Blauen Ardennen“ angekommen sind. – Blau wegen des Wassers „in allen Formen“ (http://www.ardenne-bleue.be/)

In Stavelot müssen wir uns durch eine Straßenbaustelle hindurchmogeln, um dem Stau der Umleitung zu entgehen und nicht wieder aus Versehen auf der Autobahn zu landen. Diese ist nämlich mit der Umleitung ausgeschildert. Burkhard hat Sorge, dass sein Hinterreifen die Strapazen von Split- und Kieswegen nicht mehr lange mitmacht. Das gute Stück ist schon ziemlich abgefahren. Aber es ist alles gut gegangen.

In Malmedy holten wir im Lidl etwas Futter für die Mittagspause und ließen uns an der Place de Rome nieder. Die Stadt wurde im Zweiten Weltkrieg stark zerstört. An Weihnachten 1944 bombardierten die Amerikaner irrtümlich den Ort. Die Waffen-SS erschoss 82 US-amerikanische Soldaten, die in Kriegsgefangenschaft geraten waren. Ein Kriegsverbrechen und Teil der so genannten „Ardennen-Offensive“.

Nach St. Vith ging es ordentlich bergauf. Kurz vor dem Städtchen fanden wir ein Fahrradfachgeschäft, der einen passenden Mantel für Burkhards Hinterrad hatte. Man spricht hier Deutsch, in einer französischen Sprachmelodie des Auf-und-ab und schnoddrig wie in Köln. Um 15 Uhr erreichten wir unsere Unterkunft, das Gasthaus „Wisonbrona“, zwei Kilometer außerhalb von St. Vith. Burkhard wechselte den Mantel. Jetzt muss er nicht mehr wie auf einem rohen Ei fahren.

Beim Duschen ist mir ein Malheur passiert. Es gab wundersame Hebel an der Armatur, die ich in Gang setzte. Plötzlich kam von oben der große Regen. Der Abfluss kam mit dem Sturzbach nicht mehr hinterher. Es lief aus der Wanne heraus auf die Badfließen und unter der Tür durch. Burkhard beschwerte sich, hatte aber schon ein Handtuch auf die Pfütze geworfen. Ich hatte die Duschorgie beendet und war meinerseits am Handtuchwerfen. Burkhard ging es etwas besser, hatte aber auch ein nicht stressfreies Duscherlebnis. Der Grund: Die Duschwanne hat nur einen Rand im Mikrometerbereich und es fehlt das Gefälle zum Abfluss. Wir beschlossen, den Missstand zu melden. Als ich die nassen Handtücher auf der Terrasse zum Trocknen aufhing, fing es an zu regnen.

Eigentlich wollten wir noch in die Stadt, um uns mit der Geschichte zu beschäftigen, ließen uns aber vom Regen abhalten und beschäftigten uns mit der weiteren Tourplanung und dem Buchen der nächsten Unterkünfte. In einer Regenpause fuhren wir los. Am Büchelturm begegneten wir einer Stadtführung. Wir hörten von der Zerstörung von St. Vith, auch die Bombardierungen Weihnachten 1944. Von der Stadt war nicht viel übrig geblieben. Am Büchelturm wurde der Schutt abgeladen und von den Einwohnern Millionenhügel genannt. Das kennen wir aus Stuttgart auch. Da heißt der Schuttberg „Monte Scherbelino“.

Auf dem Weg ins Quartier wurden wir von einem starken Regen überrascht. Großflächige Pfützen auf den Straßen führten dazu, dass unsere Schuhe durchweichten. Zwei Handtücher hatten wir immerhin noch. – Das deutsche Fernsehen berichtet von einem Unwetter in Brandenburg und dass morgen bei uns in der Region auch mit Gewitterschauern zu rechnen ist. Wie war das mit den „Blauen Ardennen“? Wasser, überall Wasser…

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Von Poix-St-Hubert nach Remouchamps

Dienstag, 15. August. In der Nacht tobte ein heftiges Gewitter. Es war ganz nah, Blitz und Donner gleichzeitig. Der Regen zog sich bis zum Morgen hin. Ich war so müde, dass ich schnell wieder einschlief. Das Zimmer ging zur L’Homme hinaus. Das Fenster war so eines vom modernen Penthouse-Typ (stelle ich mir so vor): die Flügel reichten bis zum Boden. Ein Gitter schützte vor dem freien Fall. Bäume gaben Schatten. und reichten fast bis ins Zimmer. Am Morgen erinnerte uns die Szene an Wanderungen mit dem Zelt, wenn es draußen leise regnet und man sich drinnen behaglich fühlt und froh ist, dem Wetter nicht ausgesetzt zu sein. 

Im Wetterbericht war zu sehen, dass die Gewitterfront fast durchgezogen war. In Deutschland wurde vor Unwetter gewarnt. Für unsere Region jedoch war ein regenfreier Tag mit viel Sonnenschein angesagt. Wir waren heute eine halbe Stunde später beim Frühstück, denn Frühstückszeit war erst ab 8 Uhr. Als wir fertig waren und unsere Sachen packten, kam die Sonne durch. Von den Bäumen tropfte noch das Regenwasser ab, die Blätter glänzten im Sonnenschein. 

Um 9:15 Uhr saßen wir im Sattel und kurbelten uns aus dem Tal der L’Homme wieder hinauf auf das Ardennen-Plateau. An einem steilen Anstieg, der aus einem Dorf in den Wald führte, rief Burkhard hinter mir. Ich stoppte. Er schob das Rad heran und sagte: „Ich muss den Schlauch hinten wechseln“. Und tatsächlich, Luft war entwichen, aber noch kein Plattfuß. Beim Schlauch-Wechsel fand er einen dünnen Draht, der sich durch den Mantel hindurchgebohrt hatte. Dank Steckachse war das Hinterrad schnell wieder eingebaut und wir konnten weiterkurbeln.

Ich hatte nicht daran gedacht, mir die Route noch einmal näher anzuschauen, sondern Komoot einfach mal machen lassen. Wir kamen auf schwer passierbare Waldwege, die vom starken Regen in der Nacht aufgeweicht waren. Grober Schotter wechselte sich ab mit Matsch und schlammigen Pfützen. Spurrinnen von Wirtschaftsfahrzeugen erschwerten das Navigieren durch den nassen Wald. An einer Stelle kam ich so ins Schlingern, dass ich absitzen musste. Mit den Klickpedalschuhen kann man das kaum spontan machen. Es braucht ein paar Augenblicke der Planung und das kann bei solch anspruchsvollem Gelände dann auch mal zu spät sein, die Cleats bleiben in den Pedalen hängen und der Körper kann nicht mehr weg und fällt. Eine harte Landung wäre es zumindest nicht geworden, es ist alles gutgegangen. Auch an der Stelle, an der mein Hinterrad durchdrehte, weil es im Schlamm keinen Halt mehr fand. Mit noch mehr Kraft ging es dann aber weiter.

Das war ein schöner tiefer Ardennenwald. Wir hörten einen Baum oder ein Geäst krachen. Ich dachte erst an Baumfällarbeiten, aber da war niemand. Burkhard meinte, dass das ein Wildschwein oder ein Hirsch gewesen sein könnte. Als wir auf eine Lichtung zufuhren sah ich vor mir Meister Lampe davonhoppeln. Das hatte mich dann mit den Anstrengungen des Weges versöhnt. 

Die Landschaft öffnete sich bald wieder zu den typischen Weiden und Dörfern mit schönen kleinen Häusern, viele davon aus Naturstein gebaut, frisch saniert oder auch neu gebaut. In der bergigen Mittelgebirgslandschaft gibt es kaum kleinere Hügel, die man „so wegdrücken“ kann, wie Jens sagen würde. Es ist immer Bergarbeit notwendig, allerdings fehlten heute die extremen Anstiege. 

In Barvaux suchten wir uns einen Platz an der Ourthe für die Mittagspause. Ich hatte mir in der Boulangerie „New Destine“ eine Tartelette à fraise (Törtchen mit frischen Erdbeeren) und ein Baguette blanche (normales Baguette aus Weißmehl) einpacken lassen. Das dunkle Körnerbaguette wollte mir die Verkäuferin nicht überlassen. – „Décoration“. 

Von Barvaux geht ein Weg an der Ourthe bis zu einem rechten Nebenfluss, dessen Tal wir eigentlich nehmen wollten um zu unserer Unterkunft nach Remouchamps zu fahren. Ich hatte aber keine Lust, das Rad über die Treppenstufen hinauf zu einer Brücke zu schleppen, um auf den Weg auf der anderen Seite zu kommen. Das führte dazu, dass wir doch auf der rechten Seite vom Fluss bliefen und die Abkürzung auf der Straße nach Aywaille nahmen. Das bedeutete Bergarbeit, was uns beiden aber ganz recht war. Beim Radfahren ist die Abwechslung ja das reizvolle. Nach den Anstrengungen des Anstiegs kommt die herrliche Abfahrt. So auch hier. Nach wenigen Kilometern flussaufwärts an der Ambiève entlang erreichten wir unser Tagesziel in Remouchamps: ein besonderes Hotel im Zentrum des Ortes.

Das Hotel „Bonhomme“ soll das älteste in Belgien sein. Im Passwort des WLAN-Zugangs steckt „1768“, was das Gründungsjahr ist. Zum 250. Bestehen kam der König und machte irgendwelche Sachen, auf die noch mit Fotos und Beschreibungen Bezug genommen wird. Das Hotel hat seinen Charme. Die weiße Blümchentapete im Zimmer könnte aus Jugendstilzeiten stammen. Dafür fehlen halt Steckdosen. Meine Nachttischlampe bleibt deshalb aus. Ich weiß nicht, wie das gedacht ist, habe aber auch nicht nach einem Verlängerungskabel gesucht. Wer braucht schon Nachttischlampen, wenn das Notebook Licht spendet…

Das WLAN vom Hotel reicht nicht bis ins Zimmer, das in der zweiten Etage liegt. Mein mobiles WLAN ist auch kaum für die Übertragung von Daten ins Internet zu überreden. So bleibt der Bericht heute erst einmal ohne Bilder. – Die Technik hat gerade auch so ihre Tücken. Mein Wahoo-Navi hat sich in der Mittagspause einfach mal so abgeschaltet, ohne die getrackte Route zu speichern. Der Rest bis zum Hotel fehlt auch. Es müssten so 85 Kilometer gewesen sein. Am Ende zählen aber nicht die Daten, sondern die Erholung an frischer Luft. Und wir lernen die Ardennen kennen. 

In Remouchamps ist Rummel, wie an so vielen Orten, durch die wir fahren. Die Familien kommen auf ihre Kosten, weil die Kinder beschäftigt sind. Die Älteren spielen Boule, die Mittelalten finden bei den Cocktails Abwechslung. In die Grotte, eine Schauhöhle, haben wir es nicht mehr geschafft. Nach dem Abendessen war da Schicht im Schacht. 

Nachtrag 16. August: Dank Internetverbindung gibt es nun auch Fotos.

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