Nach neun Tagen auf dem Rad und 1.014 Kilometern bin ich in Marseille angekommen. Das ist in etwa der kürzeste Weg von Stuttgart über zwei nicht nicht so hohe Alpenpässe. Man kann das sicher schneller fahren und mit weniger Gepäck, weniger Fotos unterwegs und mit einem Rennrad. Aber ich bin froh, dass ich ohne sportliche Vorbereitungen, nur mit der Grundkondition, bisher gut durchgekommen bin. Und der Plan ging auf, dass sich die Fitness ja auch während der Tour einstellt.
Man kann sich fragen, ob diese Art des Reisens nicht etwas anstrengend ist. Jeden Tag den Wetterbericht schauen, ein Hotel finden, die Tourplanung anpassen und bis in den Abend hinein auf dem Sattel zu sein. Zum einen geht es mir darum, mich auszupowern und Grenzen zu testen. Zum anderen ist das eine Möglichkeit, von der Arbeit abzuschalten und sich ganz auf das Jetzt in der Natur einzulassen. Nur mit den eigenen Kräften ein Fernziel zu erreichen motiviert mich, die einzelnen Etappen durchzuhalten. Es ist ein Willensakt. Wenn der Rahmen einmal gesetzt ist, dann geht es nur noch um das Wie, also um Detailfragen. Ein lohnendes Ziel fand ich für die Radferntouren immer wichtig.
Es ist natürlich auch Spaß an der Bewegung, sich in die Berge hineinzuarbeiten und die grandiosen Abfahrten von den Pässen. Eine intensive Art den Sommer zu genießen und der eigenen Erfahrung und den Kräften zu vertrauen.
Die ersten 75 Kilometer gingen heute wie „Butter“, dann wurde es wärmer, bis 32 Grad. Und es kam etwas Gegenwind auf. In Manosque machte ich in einer klimatisierten Bäckerei Mittagspause bei einem Erdbeer-Törtchen, las etwas in eine provençalische Tageszeitung hinein, in der es u. a. um den Schriftsteller Marcel Pagnol ging und nickte etwas ein. Mein körperlicher Erholungszustand hat laut Sportuhr Bestwerte erreicht. Ich ging also nicht der Versuchung nach, noch einen Mittagsschlaf zu machen und kurbelte weiter.
Ich kam an der Durance an die Stelle, aus der ich 2020 von Pertuis aus in entgegengesetzter Richtung unterwegs zu meiner Herberge im Luberon war. Damals führte mich Komoot über eine üble Piste mit Flusskieselsteinen, die man mit dem Mountainbike fahren muss. Nach dieser Erfahrung stelle ich bei der Sportart immer „Rennrad“, nicht mehr „Gravelbike“ ein, obwohl ich ja Gravelbike fahre. Ich hatte mich damals noch am Kernforschungszentrum Cadarache verheddert – Komoot hatte das Gebiet gar nicht auf der Karte. Dazu kam ein Plattfuß und ich hatte keinen Ersatzschlauch mehr. Das Ende vom Lied: Ich rief in meiner Herberge an. Der Chef holte mich ab. – An diese Geschichte musste ich heute wieder denken.
In Marseille lege ich einen „Ruhetag“ ein, um die Stadt etwas zu erkunden. Außerdem will ich eine neue Fahrradmütze und Cleats kaufen. Die Mütze hatte ich heute morgen im Hotel erst vergessen. Erst als ich nach dem Eincremen mit Sonnenschutz losdüsen wollte, fiel mir das Malheur auf. Die Kappe hing noch in meinem Zimmer. Das war mir ganz recht, denn bei der Sonneneinstrahlung hab ich recht fix einen Sonnenbrand auf dem Kopf. Außerdem läuft mir der Schweiß nicht in die Augen, wenn’s am Berg mal intensiver wird.
Kurz nach Mitternacht ging die Brandmeldeanlage vom Hotel los. Wir versammelten uns draußen auf der Straße. Der Nachtwächter vom Hotel meinte, dass der Alarm vermutlich mit dem benachbarten Restaurant zusammenhängt. Er kenne das schon. – Wir konnten dann auch kurze Zeit später wieder ins Bett hüpfen.