SR21-11 Orvieto-Orte

Heute wollte ich es mal etwas ruhiger angehen. Es sind nur noch 140 Kilometer bis nach Rom. Das kann man an einem Tag fahren. Aber die vergangenen Tage waren hart und das Klima drückt auf die Leistung. Also teile ich mir die Zielgerade auf zwei Tage auf, dachte ich. Außerdem hatte ich um 13 Uhr noch eine Webkonferenz. Ein Grund mehr. Ich verwendete die Zeit am Vormittag für die Routenplanung und die Hotelsuche, für E-Mails und sonstigen Orga-Kram wie zusätzliche Internet-Bandbreite für mein Smartphone. Im Vertrag habe ich schon 10 GB pro Monat enthalten. Die gegen aber zur Neige.

Mein Rad hat in einer vernachlässigten Kapelle übernachtet.

Da ich im Internet auf meiner Strecke Schwierigkeiten hatte, Angebote für Unterkünfte zu finden, beschloss ich eine Option für „Agritourismo“ ins Navi einzugeben, die weiter entfernt lag und es ansonsten darauf ankommen zu lassen und am Ort zu fragen.

Noch ein letzter Blick auf Orvieto – der Fels da am Horizont.
In den Orten gibt es immer Schilder mit Hinweisen, wie die Polizei zu erreichen ist, in der Regel die Carrabinieri, hier auch die Finanzpolizei. Die Polizeistationen sind auch oft ausgeschildert.

Ich brach kurz nach 14 Uhr auf, die Sonne hatte ihren Zenit bereits überschritten. Nach 25 Kilometern musste ich schon eine längere Trinkpause einlegen. Es waren wohl mindestens 35 Grad, manche Anzeigen in den Orten standen auf 38. Dabei kam nun auch noch Gegenwind auf, der mich noch schneller austrocknete und Kräfte kostete. Nach 35 Kilometern verließen mich die Kräfte und ich musste etwas essen und wieder trinken. Das Frühstück war optimal – mit echtem Müsli (großer Haferflockenanteil, keine Cornflakes). Vielleicht war es aber nicht gut, gestern Abend nichts mehr zu essen. Nach getaner Arbeit habe ich oft keinen Hunger mehr. Für die Regeneration ist das offensichtlich nicht optimal. Ich muss mal wieder in einer Taverne einkehren und was richtiges Futtern. Bei einer längeren Radtour muss man sich über solche Sachen Gedanken machen.

Das Oktoberfest ist ein Exportschlager.

Ich wollte heute zumindest noch eine Kletterpassage hinter mich bringen, bevor ich Ausschau nach einem Bett halte. Die kam bald nach meiner Essenspause und hatte es in sich. Die Anstiege waren teilweise so steil, dass ich schieben musste – so wie mit Burkhard in der Sächsischen Schweiz, als der Elberadweg bei Bad Schandau gesperrt war. Ich musste immer wieder Pausen einlegen, die Tagestemperaturen dürften ihren Höhepunkt erreicht haben. Ich nutze die Pausen, um Fotos zu machen. Die Berge hatte ich mir bei der Planung angeschaut, aber keine sinnvollen Alternativen gesehen. Das, was mürbe macht, sind nicht die Höhenmeter, sondern die steilen Anstiege und ein Auf- und Ab. Wenn man sich kontinuierlich die Berge hocharbeiten kann mit bis zu 10 oder auch einmal 14 Prozent Steigung, dann lässt es sich im eigenen Rhythmus immer noch gut fahren. Aber bei 20 oder 35 Prozent ähnelt es eher dem Treppensteigen. Geduldig arbeitete ich mich also voran.

Wein, Oliven, Besitzer
Dort hinauf muss ich mich noch schnaufen.
Kakteen säumten seinen Weg…
… und Oliven
Das Tal wird zu eng für mich, deshalb muss ich über die Berge: Unten verlaufen die Bahntrasse und die Autobahn nach Rom.

Im Tal angekommen, war schon wieder Abend. Vor mir tauchte der Ort „Orte“ auf, genau wie Orvieto eine Felsenstadt, nur kleiner, also eine Gemeinde, keine Stadt. Ich sah auf der Karte zwei Unterkünfte und beschloss, direkt oben zu fragen. Außerdem war ich neugierig auf das Innere der Stadt. Das Rad also wieder schieben. Oben angekommen kurvte ich in den Gassen umher und fand nichts. An der Piazza della Libertà fragte ich den Wirt einer größeren Bar. „Iglese?“, fragte er und suchte jemanden, der Englisch sprach. Unter den Gästen fand sich aber niemand so recht. Ein junges Paar sprach etwas Englisch, wir wechselten aber ins Französische, da sie aus Frankreich kamen. Ich wollte wissen, ob sie im Ort übernachten, damit ich da nach einem Zimmer fragen konnte. Das war aber nicht der Fall. Ein Bekannter vom Wirt führte mich dann zu der Pension, die ich im Internet gesehen hatte. Alles war verschlossen, in den Fenstern kein Licht. Ich klingelte, nichts rühre sich. „Chiuso“, sagte ich. Dann führte er mich zu einer weiteren Möglichkeit – Bed & Breakfast. Dort, wo sonst eine Klingel ist, war ein flaches Stück weißes Plaste mit Andeutungen von Tasten. Wir drücken da drauf. – Nichts. Ich öffnete ein kleines Gitter und ging die Treppe hoch zur Haustür. Das gleiche Stück Plaste, die selbe Prozedur. – Nichts. Oben war aus einem beleuchteten Fenster ein laufender Fernseher zu hören. Der ältere Mann, der mich begleitete und mich an die Figur des „Michael“ aus einem irischen Film erinnert, dessen Name mir gerade nicht einfällt, der öffnete die Tür, die nur angelehnt war, nachdem er laut geklopft hatte. Er schaltete seine Smartphone-Taschenlampe an, fand den Lichtschalter und machte Licht. Wir sahen einen Vorraum mit Tisch und Stühlen und weiteren Möbelteilen. Wir hatten aber beide das Gefühl, hier etwas weit vorgedrungen zu sein und es bei dem Versuch uns bemerkbar zu machen, belassen sollten.

Ich ging mit „Michel“ zurück zur Bar, wo wir inzwischen immer wieder unseren Ausgangspunkt für neue Versuche hatten. Wir trafen auf einen Mann, der uns erklärte, warum unser letzter Versuch gescheitert war. Es sei wohl jemand gestorben und der Gästebetrieb deshalb eingestellt worden. So viel konnte ich verstehen. Inzwischen war der halbe Ort mit Recherchen beschäftigt, mich unterzubringen. Aber jetzt fiel den Herren auch nichts mehr ein und ich sagte, dass ich mit „unten“ etwas suchen wolle, bedankte mich und rollte die Felsenstadt wieder hinab. Ich hatte oben Schwierigkeiten mit der Navigation beim iPad – entweder mit dem Internetempfang oder, was ich vermute, war ich in den engen Gassen zu oft im GPS-Schatten. Wie dem auch sei, ich steuerte, wie ursprünglich geplant, einen „Agritourismo“ an, also einen landwirtschaftlichen Betrieb mit Restaurant und Betten, ganz nach an der Autobahn und nur ein paar hundert Meter von Orte entfernt.

Weg nach „Orte“
Gar nicht so einfach, beim Sonnenuntergang den Eingang zum Ort zu finden…
… ah, da ist der Eingang – also Rad tragen
Wo sind nur die Herbergen? Die Leute in Orte sind sehr hilfsbereit.

Der Chef verstand kein Englisch und organisierte eine junge Frau vom Personal, die aber auch nur ein paar Worte sprach. Da der Kontext immer klar ist, bekommt man es dann trotzdem ganz gut hin. Für 60 Euro bekam ich ein fürstliches Zimmer, inklusive Frühstück. Der Chef führte mich über das Gelände und meinte, ich solle mein Rad mit in die „Camera“ nehmen. So viel verstand ich dann wieder. – Mit anderen Worten: Für die nächste Italienreise muss ich auf alle Fälle mehr Italienisch lernen als die paar Brocken, mit denen ich mich durchmogele. Man lernt natürlich auch immer dazu, zum Beispiel wie sich der rohe („crudo“) vom Kochschinken unterscheidet, ob man eine Tüte im Laden haben will oder nicht („No sacchetto“) und wenn man beim Frühstück nach der „nummero di camera“ gefragt wird, dann fällt mir als erstes auch nicht Nikon D780 ein, sondern ich sage brav die Zahlen (heute: „tre – due – tre“). Und „vorrei un caffè americano“ ist mein zweiter Vorname. Das ist eine Möglichkeit, einen Kaffee zu bekommen, der etwas größer ist. Es ist in der Regel ein doppelter Espresso oder man bekommt noch heißes Wasser zum Verdünnen dazu. „Un acqua grande frizzante“ muss ich auch öfters bestellen. Und das gute ist, dass das nicht die Welt kostet. In Lecco war ich in einem Lokal mit Stoffservietten speisen. Die 1,5 Liter Wasserflasche gab’s für 2 Euro. In Deutschland musste ein Gesetz her, dass das Wasser nicht teurer sein darf als das billigste alkoholische Getränk.

Morgen also Rom.

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